Berlin – Am 26. Mai haben die Bürger in Deutschland die Chance, ein neues Europaparlament zu wählen. Warum die Europäische Union und die Stimme der Ärzte auf europäischer Ebene so wichtig sind, sagt der neu gewählte Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union, Frank Ulrich Montgomery.
Deutsches Ärzteblatt: Sie sind seit dem 1. Januar Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union (CPME). Warum braucht es ein solches Gremium?
Frank Ulrich Montgomery: Es wäre fatal, wenn wir ein so wichtiges Thema wie die gesundheitliche Versorgung den Konzernlobbyisten in Brüssel überlassen würden. Wir brauchen den CPME als Gegengewicht, das auf der europäischen Ebene den ärztlichen Sachverstand in die politische Diskussion einbringt und die Interessen der Ärzteschaft und der Patientinnen und Patienten vertritt.
DÄ: Wie schwierig ist es, bei 28 Mitgliedsorganisationen gegenüber der Politik mit einer Stimme zu sprechen? Zumal sich die Ärzteschaft dreier wichtiger Mitgliedstaaten, Italien, Portugal und Spanien, aus dem Gremium zurückgezogen hat.
Montgomery: Sagen wir so: Es ist eine Herausforderung. Aber ich sehe lebhafte Diskussionen nicht als Ausdruck von Schwäche an. Die Gesundheitssysteme in Europa sind sehr unterschiedlich organisiert, stehen aber vor ähnlichen Herausforderungen. Da lohnt der Blick über den nationalen Horizont, weil man lernen kann, wie unsere Nachbarn Probleme wie den Ärztemangel oder den demografischen Wandel angehen. Daher wäre es auch eine Bereicherung, wenn wir Italien, Spanien und Portugal wieder als Mitglieder zurückgewinnen könnten. Immerhin bleibt die British Medical Association trotz des Brexits Mitglied im CPME.
DÄ: Welches sind mit Blick auf die Europawahl die dringlichsten gesundheitspolitischen Forderungen des CPME?
Montgomery: Für uns steht der Patientenschutz an erster Stelle. Ärztliche Leistungen dürfen niemals einer rein marktwirtschaftlichen Logik untergeordnet werden. Ein weiteres zentrales Thema ist die Frage, wie wir die Chancen der Digitalisierung für die Forschung und Versorgung nutzen und gleichzeitig die Sicherheit der Daten gewährleisten können. Und wir brauchen eine europäische Strategie, um Antibiotikaresistenzen einzudämmen und Lieferengpässe für wichtige Arzneimittel zu vermeiden.
DÄ: Grundsätzlich ist die Gesundheitspolitik Sache der Mitgliedstaaten. Sie sind für die Organisation und Finanzierung ihrer Gesundheitssysteme verantwortlich. In welchen Bereichen schaffen aus Ihrer Sicht europäische Regelungen einen Mehrwert?
Montgomery: Es gibt einige Themen, bei denen es sinnvoll ist, wenn Brüssel sich einmischt und gemeinsame Rahmenbedingungen schafft. Den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen habe ich bereits genannt. Auch die Verbesserung der grenzüberschreitenden Mobilität für Ärzte und Patienten gehört dazu, ein leichterer Zugang zur medizinischen Versorgung, die Förderung von Forschung und Innovation oder der Wissenstransfer zwischen den Mitgliedsstaaten. Das sind Felder, auf denen Europa seinen praktischen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger unter Beweis stellen kann und soll.
DÄ: Wo sind europäische Regelungen aus Ihrer Sicht eher schädlich?
Montgomery: Überall dort, wo Brüssel den Mitgliedsstaaten vorschreiben möchte, wie sie ihre Gesundheitssysteme organisieren sollen. Das gilt umso mehr, wenn es dabei offensichtlich nicht um das Wohl der Patienten geht. Initiativen wie der jüngste Vorstoß zur Vereinheitlichung der Nutzenbewertung bei Medizinprodukten oder die immer neuen Anläufe zur Deregulierung der freien Berufe dienen in erster Linie den Interessen der Wirtschaft. So wird es der EU sicher nicht gelingen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen.